Hier schreibt Roderich Fabian.

Sonntag, Oktober 30

Spiralen der Wertlosigkeit

Mit jedem Download, den ich tätige, mit jedem mp3-File, das mal eine Weile auf meinem Desktop herumliegt (um nach einer Weile ungehört gelöscht zu werden), mit jedem Click in Sachen Musik wird diese weniger wert. Jedenfalls in meinem Fall, denn ich bin ja mit Vinyl-Schallplatten aufgewachsen, deren Erwerb ich mir nahezu vom Munde abgespart habe. Das Gute daran ist, dass mit einem Online-Einkauf auch das dazugehörige Geld an Bedeutung verliert. Ein Song für 84 Cents – was ist das schon? Und dank automatisierter Abbuchung zahle ich ja nur mit einem Click und einer sich verändernden Ziffer auf meinem Bank Account.
Die eigentliche Musik folgt dieser Losung. Gerade gehört: DRC Music – ein obskures Album, das in wenigen Tagen in der Demokratischen Republik Kongo (DRC) entstand. Damon Albern hat ein paar Produzenten mit in sein geliebtes Afrika genommen, die haben ein paar Aufnahmen einheimischer Musiker durch Filter und Kompressoren gejagt und in Windeseile ein uneinheitliches Album rausgekloppt, dessen Entstehungsprozess man dem Album jederzeit anmerkt. Da hat sich niemand Mühe gegeben oder Zeit genommen. Es sollte ein coole Momentaufnahme sein, ist aber weder Folklore noch Elektro, sondern einfach ein Schnellschuss. Die Erlöse die das Album erzielen soll, fließen der NGO Oxfam zu, d.h. hier verdient keiner der Beteiligten etwas daran. Und vielleicht erklärt das die Sorglosigkeit, mit der man hier zur Sache gekommen ist.
Freundlicher Weise hat mir eine Agentur das Album als Gratis-Download zur Verfügung gestellt, damit ich das Album in einer meiner Sendungen vorstelle (was ich auch tun werde). Aber natürlich schließen sich hier verschiedene Kreise: Uninspirierte Musiker liefern unter Druck stehenden Agenturen und Labels schnelles und vergängliches Material, was die ebenfalls ungeheuer beschleunigten Medienmenschen ohne viel Aufwand in die Öffentlichkeit katalpultieren, damit sich vielleicht der eine oder andere doch dafür interessiert und etwas hineinliest, was gar nicht da ist (immerhin haben wir es ja mit Damon Albarn zu tun). Dann doch lieber Fußball in der Kneipe kucken…

Sonntag, Juli 3

Talk about the Weather

Mal wieder Regen, mal wieder nicht heiß, sondern eher deutsche Durchschnittstemperatur (ca.9°C) - Juliwetter, aber keineswegs abwegig. Es gibt Menschen, die sich darüber aufregen, dass sich Deutschland nicht in Nigeria verwandelt in diesen Wochen, nicht einmal in Sizilien. Aber - sofern man einen Großteil seiner Lebenszeit hierzulande verbringt: Sind wir es denn nicht längst gewohnt, dass sich die Anzahl der Biergartennächte (mehr als 20°C nach 22 Uhr) an einer Hand abzählen lässt?
Gibt es tatsächlich mal so etwas wie eine Hitzewelle (zuletzt im Juni 2006 pünklich zur Herren-Fußball-WM zu verzeichnen), dann werden die Deutschen irre, gebärden sich als nationalbewusste Spaßkanonen und lassen die berühmten Fünfe gerade sein. Aber wollen wir das mittel- bis langfristig wirklich? Weiche Hitzebirnen, die die Arbeit eher ruhen lassen, ein Laisser-Faire an den Tag legen wie unsere südwestlichen Nachbarn und griechische Lebenslust (mit Pleite-Gefahr) an den Sonnentag legen? Dann würden auch die Restbestände des Dichter- und Denkerwesens bald zerfließen und sich ein tumber Hedonismus breit machen wie in düstersten Epochen. Nein, dass die Deutschen nicht gemacht sind, sondern für 9°C im Schnitt erkennt man allein daran, welche Kleidung bei Übermaß gesportet wird: Underdress for Overweight, eine Absage an letzte Reste von Eleganz. Das Zeug liegt eben 350 Tage lang unbenutzt im Schrank und entzieht sich dadurch einer eingehenden Prüfung durch die Öffentlichkeit. Insofern sind Wolken und 15 Grad (gefühlt: 13) völlig okay und angemessen für mittlere Europäer wie dich, mich und Chistian Wulff, den Repräsentanten des Durchschnitts.

Sonntag, Februar 27

Amerikaner sind Außerirdische

Vor ein paar Jahren habe ich mal ein Interview mit der australischen Regisseurin Cate Shortland („Somersault“ – toller Film, übrigens) gemacht. Da hat sie eingangs erzählt, dass man sie mit einer Amerikanerin verwechselt habe. Das mochte sie gar nicht und erwiderte sofort „Americans are aliens“. Das war mir aus der Seele gesprochen. Ich glaube ebenfalls, dass Amerikaner eigentlich Außerirdische sind. Und die Tatsache, dass eine Australierin meine Meinung teilt, bestätigt diese – sicherlich gewagte – These noch mehr. Es handelt sich also keineswegs um europäische Überheblichkeit, die übliche Arroganz der Menschen aus der „Alten Welt“, die so stolz auf ihre Kulturtradition sind. Es ist vielmehr eine ungeheure Entfremdung, die sich immer wieder einstellt, wenn man Kontakt zu den Aliens aufnimmt. Ich beobachte z.B. immer ein durchaus wohlwollendes Desinteresse an den Interessen anderer Völker. „Wir verstehen schon eure Sorgen und Befürchtungen“, wollen einem die Amerikaner sagen, „aber eigentlich sind die doch vollkommen unerheblich, weil unser Planet jenseits des Atlantiks (oder eben: des Pazifiks) davon nicht betroffen ist“.
Spätestens seit Ende des Zweiten Weltkriegs sind die Amerikaner der Überzeugung, dass der Rest der Welt ein Beiwerk zur USA darstellt. Man kann zwar herrlich den Himalaya besteigen oder alte Kirchen in Barcelona besichtigen, aber Berge und Gotteshäuser sind eigentlich nur dafür da, von Amerikanern besucht zu werden, bevor man wieder in „God’s own Country“ zurückkehrt. Oder um es mit dem alten und doch immer wieder zu hörenden Ausspruch amerikanischer Touristen in Bezug auf fremde Scheine und Münzen zu hören ist: „How much is that in real Money?“.
Amerikaner streifen durch die Welt (manchmal auch dauerhaft) wie erstaunte Raumfahrer, die putzige und manchmal auch abstoßende Erfahrungen anderswo machen, aber niemals in zweifel stellen, dass der American Way of Life der einzig richtige ist.
Nun kann man einwenden, dass ja auch die USA über schlaue und weltoffene Menschen verfügt, denen Patriotismus oder gar imperialistisches Gedankengut fern ist. Das stimmt, ändert aber nichts an einer generellen, E.T.-haften Einstellung gegenüber anderen Kulturen. Gerade weil im Rest der Welt ja ein uneheures (und ebenfalls unerklärliches) Interesse an Lady Gaga und den Vampire Slayers besteht, wird daraus abgeleitet, dass alles Andersartige eine Verirrung von untergeordneten Menschen sein muss. So marschieren die Soldaten der USA rund um den Erdball, singen „Burn Motherfucker burn“ und brennen den fremden Planeten Erde nieder, ohne die geringsten Skrupel. Wer kein Cola und kein McDoof mag, muss zu einer anderen Rasse gehören. Das produziert anderswo selbstverständlich Selbstmordattentäter (aber eigentlich sind die Amis ja auch irgendwie süß, oder?)

Sonntag, Januar 30

Unbewohnbar wie der Mond

Wenn erwachsene Menschen aus Ländern, die wesentlich näher beim Äquator liegen als Deutschland, zum ersten Mal hier herkommen, wundern sie sich mehrheitlich doch sehr. Es ist nicht nur viel zu kalt, das Leben findet – auch in wärmeren Monaten – viel weniger auf der Straße statt. Der zwischenmenschliche Kontakt ist wesentlich mehr funktionalisiert, dem Zufall, den solche Begegnungen ja begünstigen können, hat viel weniger Chancen, Einfluss auf den Ablauf der Dinge zu bekommen. Menschen aus Afrika, Südost-Asien oder Lateinamerika können so leicht auf den Gedanken kommen, Deutschland sei im Grunde unbewohnbar, obwohl es ja zu den am dichtesten besiedelten Ländern der Erde gehört.
Jetzt würden die meisten Deutschen da natürlich kräftig widersprechen und auf den Lebensstandard verweisen, auf die Anzahl von Autos und Fernseher pro Person, vielleicht auf die Kulturgeschichte, die Produktivität oder das Brutto-Inlandsprodukt. Aber schaut man an einem Sonntag wie diesem aus dem Fenster, sieht eingefrorene Straßen und Häuserfluchten, die einen allein dazu aufrufen, möglichst daheim zu bleiben, also das eigentliche Deutschland, den asphaltierten Erdboden überhaupt nicht zu betreten, sich stattdessen in virtuellen Netz- oder anderen Fernsehwelten zu verlieren.
Wenn man das zu Ende denkt, denn schließlich gilt die Eingefrorenheit mittlerweile rund sechs Monate lang, könnte man doch tatsächlich aus Deutschland eine Art Matrix machen, wo sich Menschen im Dauerschlaf eine virtuelle Welt zuspielen lassen, in der alles vermeintlich mächtig okay ist wie einst bei Keanu Reeves. Das reale Territorium könnte man der Flora und Fauna überlassen. In nur wenigen Jahrhunderten wäre das Land zwischen Etsch und Belt wieder eine herrliche Dschungellandschaft. Und würde dann von Einwanderern, die natürlich ohne Pass- oder sonstige Formalitäten erneut kultiviert werden könnte. Irgendwie eine angenehme Vorstellung.

Samstag, Januar 1

Neuer Mensch

Die ungeheure Relativität von Silvester manifestiert sich schon in der Tatsache, dass jede Zeitzone einen separaten Urknall hat. Wenn wir in Deutschland die Korken fahren lassen, schläft etwa in Tokio die Mehrscheit schon ihren Rausch aus, während in Los Angeles der "Champagne" gerade erst aus dem Supermarkt-Regal gerissen wird. Silvester ist also so wenig ein Naturereignis wie die Einteilung der Zeit in Monate und Wochen (während Jahre und Tage ja durchaus etwas mit den Gestirnen zu tun haben).
Wer also die Nullstellung zwischen Dezember und Januar für einen Wendepunkt hält, der muss schon seinen Kopf ordentlich auf eine ganz persönliche Software trimmen, um zum Beispiel ein neuer Mensch zu werden. Trotzdem werde ich das Jahr für Jahr erneut. In meinem ungeheuer bürokratischen Bewusstsein erstelle ich etwa neue Verzeichnisse auf dem Rechner, beackere meine Adressensammlung, schließe die Musikalienabteilung für das abgelaufene Jahr ab, um sie allmählich in das allgemeine Archiv wandern zu lassen. Ich könnte nun alles anders machen, könnte mein Tun und Lassen hinterfragen, um vielleicht zu völlig neuen Erkenntnissen und Handlungsanweisungen zu gelangen. Stattdessen begnüge ich mich jedoch damit, Verzeichnisse zu schaffen und Archive abzuschließen. So suggeriere ich mir einen Neubeginn und bleibe so schlau wie zuvor. Das geht so lange gut, bis die Natur zuschlägt - aber das wird sie voraussichtlich nicht am 1. Januar tun, obgleich das schön und praktisch wäre.

Sonntag, März 21

Kurzfilmparty Regensburg

Schwer übermüdet sitze ich nun wieder in München am Schreibtsich. Um halb 6 Uhr bin ich ins Bett gekommen, nach meiner Teilnahme an der Party anlässlich der Regensburger Kurzfilmtage, die Achim Bogdahn und ich seit ??? Jahren beschallen.
Immer wieder wird uns bestätigt, was für eine ungewöhnliche Veranstaltung das ist. Einerseits ist die Mischung der Generationen bemerkenswert, wo es sonst meist nur Jugend-orientierte oder Ü-irgendwas-Parties gibt. Andererseits kennt die Begeisterung vieler Besucher keine Grenzen. Es geht immer bis in die Puppen durch und kaum jemand stört sich daran, dass hier eine doch sehr wilde Mischung aus Pop und Electro geboten wird. Ich glaube, es liegt längst nicht mehr an uns: Die Party ist per se zur Begeisterung verpflichtend. Wahrscheinlich würde man sich in Regensburg herbe Kritik gefallen lassen, wenn man diese Party dissen würde. Sie ist dazu da, ausgelassen begangen zu werden, Hauptsache sie heißt Zündfunkparty und sie ist im Leeren Beutel. Bei einem Ausflug in den „Kulturspeicher“ vor ein paar Jahren hat alles nicht so gut funktioniert, was sich vor allem damit begründen lässt, dass ein anderer Ort anscheinend auch ein anderes Publikum hervorbringt.
So erschöpft ich heute Abend bin, so dankbar bin ich doch dafür, dass Achim und ich das immer noch machen dürfen. Denn es ist (wenn nun auch erstmals im März statt im November) ein Highlight des Jahres, ein Lichtblick inmitten von Alltäglichkeiten und immer wieder eine Erneuerung meiner Liebe zu Regensburg und der ganzen Oberpfalz.

Sonntag, März 14

Antivisualisierunsgesetz

Inzwischen schon eine alte Leier ist: Die Menschen können nicht mehr zuhören und auch nicht mehr lesen, sie müssen alles bildlich vermittelt bekommen, sonst verweigern sie die Aufmerksamkeit. Und ich muss zugeben, dass auch ich – als treuer Zeitgenosse – ebenso versaut bin von der berühmten Bilderflut. Nur: Schön ist das natürlich nicht! Da wir in Deutschland leben, wo Befehle immer noch ausgeführt werden, so lange sie amtlich vorliegen, schlage ich das in der Überschrift gekennzeichnete „AVG“ vor. Wie wäre es, wenn die Bundesregierung (und vorsorglich die Landesregierungen zusätzlich) verbieten, bestimmte Inhalte, die in die Öffentlichkeit gelangen, mit Bildern zu versehen. Die Tagesschau müsste dann wieder viel mehr „Aufsager“ zeigen (also Journalisten, die mit dem Mikro in der Hand, etwas in die Kamera sprechen, was die meisten eh nicht interessiert), die Zeitungen müssten die Textstellen anschwellen lassen, weil nun wieder tausend Worte das sagen müssten, was sonst ein einziges Bild sagt. Die Menschen würden natürlich sofort auf Sender und auf Zeitschriften umschalten, die mehr Bilder haben, auf werbegestützen Vollquatsch, aber genau müsste das AVG ansetzen. Werbung z.B. sollte nur noch ohne Bilder gestattet sein, Musik ohne Videos, und Kriegsberichte ohne einstürzende Neubauten. Besser noch als im Netz würde sich zwangsläufig (und trotz dem üblichen Gejammere) die Lesekultur in diesem Lande wieder steigern. Strengstens untersagt wäre in diesem Zusammenhang natürlich so etwas wie „Skype“ oder „Youtube“.
Nun fragt man sich: Wie kommt der Mann auf diese alberne Idee? Nun, ich habe meinen Freitag abend damit verschwendet, die von Stefan Raab für „teures Geld“ produzierte Endausscheidung für den deutschen Grand-Prix-Beitrag („Unser Star für Oslo“) gesehen und bemerkt, dass da ein zierliche Abiturientin gewonnen hat, die nicht singen kann, die aber dem Klischeebild des teutschen Sauber-Mädels entspricht, während ihre Gegnerin zwar einigermaßen Töne produzieren konnte, aber äußerlich wie die nette Lidl-Kassiererin wirkte. Statt die hiesige Wirklichkeit in Oslo an den Start gehen zu lassen, werden wir nun von der Enkelin des ehemaligen Chefs des Bundespräsidialamtes (Andreas Meyer-Landrut), also von der Oberschicht, repräsentiert. Ein sauberes AVG hätte das verhindert.