Hier schreibt Roderich Fabian.

Sonntag, Januar 30

Unbewohnbar wie der Mond

Wenn erwachsene Menschen aus Ländern, die wesentlich näher beim Äquator liegen als Deutschland, zum ersten Mal hier herkommen, wundern sie sich mehrheitlich doch sehr. Es ist nicht nur viel zu kalt, das Leben findet – auch in wärmeren Monaten – viel weniger auf der Straße statt. Der zwischenmenschliche Kontakt ist wesentlich mehr funktionalisiert, dem Zufall, den solche Begegnungen ja begünstigen können, hat viel weniger Chancen, Einfluss auf den Ablauf der Dinge zu bekommen. Menschen aus Afrika, Südost-Asien oder Lateinamerika können so leicht auf den Gedanken kommen, Deutschland sei im Grunde unbewohnbar, obwohl es ja zu den am dichtesten besiedelten Ländern der Erde gehört.
Jetzt würden die meisten Deutschen da natürlich kräftig widersprechen und auf den Lebensstandard verweisen, auf die Anzahl von Autos und Fernseher pro Person, vielleicht auf die Kulturgeschichte, die Produktivität oder das Brutto-Inlandsprodukt. Aber schaut man an einem Sonntag wie diesem aus dem Fenster, sieht eingefrorene Straßen und Häuserfluchten, die einen allein dazu aufrufen, möglichst daheim zu bleiben, also das eigentliche Deutschland, den asphaltierten Erdboden überhaupt nicht zu betreten, sich stattdessen in virtuellen Netz- oder anderen Fernsehwelten zu verlieren.
Wenn man das zu Ende denkt, denn schließlich gilt die Eingefrorenheit mittlerweile rund sechs Monate lang, könnte man doch tatsächlich aus Deutschland eine Art Matrix machen, wo sich Menschen im Dauerschlaf eine virtuelle Welt zuspielen lassen, in der alles vermeintlich mächtig okay ist wie einst bei Keanu Reeves. Das reale Territorium könnte man der Flora und Fauna überlassen. In nur wenigen Jahrhunderten wäre das Land zwischen Etsch und Belt wieder eine herrliche Dschungellandschaft. Und würde dann von Einwanderern, die natürlich ohne Pass- oder sonstige Formalitäten erneut kultiviert werden könnte. Irgendwie eine angenehme Vorstellung.