Hier schreibt Roderich Fabian.

Samstag, August 19

Grabbeln als Reflex

Ein Reflex, den ich nicht loswerden kann, ist das Stehenbleiben bei Kisten mit quadratischem Inhalt. Sobald irgendein Laden eine Plattenkiste auf den Gehweg entlang meiner Route gestellt hat, betätige ich die Handbremse meines Fahrrads und beginne alsbald zu Wühlen. Wie immer funktioniert hier das durch und durch verführte Verlangen, sich um Gottes Willen keine Gelegenheit entgehen zu lassen. Vieleicht steht genau in dieser Kiste ja die lang ersehnte, verschollen, vergriffen geglaubte Rarität.
Natürlich kennen die Händler längst ihre Klientel und verlangen überhöhte Preise von jenen, die sich noch für alte Platten interessieren. Inzwischen sind viele gebrauchte Platten teurer als bei ihrem ursprünglichen Erschienen. Rar müssen sie dabei gar nicht sein - Vinyl an sich wird allmählich zum antiquarisch gehandelten Stoff wie Emaille oder Schellack. Und letztlich komme ich dann auch den überhöhten Forderungen nach - for the good times (und weil ich's mir - anders als in den good times - lesten kann, aber auch dessen sind sich die Krämer bewusst).

Freitag, August 18

Magisches Indien

Abendessen beim Inder. Nach Begleichen der Rechnung sagt der Kellner zu mir und meinem Freund: "Sie sind Brüder, stimmt`s?". "Ja", sage ich natürlich und weiter: "Erstaunlich, wie das Inder gleich erkennen." Der Kellner souverän: "Ich weiß auch nicht, aber mir ist schon oft aufgefallen, dass wir in dieser Beziehung eine besondere Gabe haben".

Donnerstag, August 17

Sex mit Jesus

Gestern zeigte einer der neuen "Spielfilmkanäle" (Slogan: Wir sind Hollywood) nachts den Scorsese-Film "Die letzte Versuchung Christi" (1989). Das ist ein sehr ernsthafter Versuch des Regisseurs, sich Jesus` Lebensgeschichte begreifbar zu machen. Natürlich wurde der knapp dreistündige Film von Werbeblöcken unterbrochen. Nach Mitternacht aber lösten die schmierigsten, ekligsten Telefon-Sex-Spots die übliche Auto- und Putzmittelscheiße ab. Man sah also abwechselnd Willem Dafoe und seine Jünger bei dem Versuch, die Welt menschlicher zu machen und zwischendurch "geile Frauen über 50", die sich die eigenen Hänge-Brüste ableckten. Kultur- und geschmackloser kann man unmöglich sein.
Anhand solcher Zusammenstellungen entlarven sich diese Sender als das, was sie natürlch schon immer sind: Publikumsverachtende Abspielstationstationen von Stapelware aus dem Kirch-Fundus, bei denen die vorgestellten Filme völlig beliebig und letztlich wertlos sind (ein Blick ins Programm beweist das).
Nie wieder Fernsehen! - kann da langfristig nur die Devise lauten.

Mittwoch, August 16

Über jede Kritik erhaben

Der Eibsee unterhalb der Zugspitze ist schön: Von Felsen und Wäldern umrankt, glänzt er wechselweise hellgrün und bläulich im Sonnenschein. Mittendrin sind ein paar teils bewaldete Inselchen. Innerhalb von zwei Stunden kann man den See als Wandersmensch umrunden. Das tun im August natürlich einige: Deutschmeisterwürtchen hauptsächlich, aber auch Touristen, die man daran erkennt, dass sie weder Rucksack noch das berühmte "feste Schuhwerk" dabei haben. Am Parkplatz gibt es selbstverstndlic einen Biergarten mit oder ohne Selbstbedienung. Dort sitzen dann die Umrunder genauso wie die, die nach einem Stückchen Weges wieder umgekehrt sind (die Mehrheit).
An jedem dritten Baum (sagt meine Frau) steht eine Mülltonne, und tatsächlich haben wir nicht das keinste Stäubchen Müll auf dem Weg oder an den Kiesstränden (wo man auch baden kann) gefunden.
Natürlich ist dies ein Ort, bei dem Großvaters oberbayersiche Ferienfantasien wahr werden, wo alles derart picco bello, gepflegt, geräumt, begradigt, beschildert, geputzt, geteert und gefedert ist, dass man hier auch deutsche Gründlichkeit in Reinkultur unterstellen kann, aber trotzdem hätte dieser See seine majestätische Schönheit auch dann, wenn nie ein Grundbesitzer Hand angelegt hätte.
Hinfahren und den see gegen den Uhrzeigersinn umrunden, dann kann man auch noch die Meschheit besichtigen die einem mit dem Uhrzeigersinn entgegenkommt.

Dienstag, August 15

Erfundene Menschen

Das Problem mit Romanen ist, dass sehr oft alles erfunden ist (vor allem wenn es kein Debutroman ist). Wenn die Fuguren und die Handlung zwingend sind, gelingt es mir durchaus, an der Geschichte dranzubleiben und der Illusion zu verfallen. Aber oft ist es auch so, dass ich mir den Autor vorstelle, wie er sich die Protagonisten ausgedacht hat (wenn auch meinetwegen modelliert an wirklichen Personen).
Das ist also die eigentliche Herausforderung für einen Autor: Menschen zu erfinden, denen man ihr Menschsein abnimmt, auch wenn es sie gar nicht gibt.

Montag, August 14

Kaufen Sie!

An der Theresienhöhe gibt es ein neues Einrichtungshaus, das ein altes Einrichtungshaus abgelöst hat. Dort gibt es aber eigentlich den gleichen Plunder an den gleichen Stellen, nur (habe ich den Anschein) etwas teurer und feilgeboten von etwas RTL-2-geschädigteren Verkäufern.
Unfreiwillig bin ich heute dort hineingeraten. Erst trieb es mich tief hinab in die Windungen der Tiefgarage. Danach folgten lange Wege bis zum Aufzug zu den Verkaufsflächen. Auch die Lampenabteilung war erst zu finden, nachdem schon etliche andere Warenbereiche durchschritten waren. Nach Einkauf einer (beliebigen) Ware wird man dann durch weitere Etagen geschleust. Die Kasse ist auf einem anderen Stockwerk als die Ausstellungsfläche, die Warenausgabe wiederum kann erst nach weiteren Wegen entlang allerlei Merchandise erreicht werden.
Zum Kauf einer Lampe habe ich fünf Stockwerke dieses Scheiß-Hauses in fast voller Länge und Breite abmarschiert. Denn es versteht sich von selbst, dass die Rolltreppen (aufwärts wie abwärts) nicht aneinander anschließen, sondern immer 180° entfernt sind.
Für so dumm wird die Kundschaft verkauft. Hier ist niemand mehr König, sondern jeder wird als Volltrottel angesehen, der, nur weil er gezwungen wird, an so viel wertlosem Krempel entlang zu gehen - einmal gefangen in dieser Warenworld - Dinge wahllos an sich reißt und frühestens beim Auspacken bemerkt, dass er den Kram gar nicht braucht.
Ich sage: Nie wieder! (und werde trotzdem wieder dort landen, weil die Zwänge ja nicht am Ausgang enden).

Sonntag, August 13

Schreinern auf dem Zauberberg

Ein Freund hat mir gestern von seinen Schreinerarbeiten in der nachgebauten Thomas-Mann-Villa in München-Bogenhausen erzählt. Der Investment-Banker Alexander Dibelius nutzt das Haus an der Thomas-Mann-Allee als Münchner Wohnsitz. Hier ist alles mindestens vom Feinsten. Folgendes habe ich mit Staunen vernommen: Jedes Zimmer verfügt über einen Plasmabildschirm. Um die Marmor-Badewanne einzubauen, musste eine Wand eingerissen werden. Frau Dibelius` Schuhsammlung kann sich mit der von Frau Marcos messen. Der Fuhrpark besteht ausschließlich aus Fahrzeugen oberhalb der €-100.000-Grenze. Allein die Beheizung der Marmorwanne kostet jährlich € 8.000. Natürlich sorgt ein umfangreiches Video-Überwachungssystem, dass Famile Dibelius den Wohlstand unbesorgt genießen kann. Aber tut sie das auch? Ich hoffe nicht.