Hier schreibt Roderich Fabian.

Samstag, August 5

Trudering

Das ist ein Stadtteil im Münchner Osten. Hier haben sich zwischen den 50ern und 70ern Leute angesiedelt, die als erste von Bausparverträgen profitiert haben. Also meistens wohnen hier Familien, die sich nach dem Krieg durch irgendwelche Tätigkeiten "etwas eigenes" geschaffen haben.
Entsprechend war der Anteil der Republikaner-Wähler bei der letzten Stadtratswahl in Truderig am Höchsten. Auf den letzten Wiesen entstehen noch immer Baugrundstücke für Familien, die gerade dabei sind, sich etwas zu schaffen. Hier gibt´s die Pitteria, dortt den schnellen Inder - im Grunde ist Trudering Durchschnitts-Deutschland, nict weit vom Münchner Ostnahnhof.
I wouldn't live there if you pay me to.

Freitag, August 4

Original, fast 50

Es gibt ein München, das nicht dem inzwischen weit verbreiteten Bild entspricht. Man findet es bei Leuten, die in München nicht nur ihr Leben verbracht, sondern es dadurch auch verändert haben, ohne je faktische Gesataltungsmacht zu haben.
Gestern habe ich eine alten Schulfreund getroffen, nach 19 Jahren wieder einmal. Ein studierter 60er-Fan, ein Giesinger in Haidhausen, ein kinderloser Frauenvernascher, ein sportlicher Biertrinker, ein unglücklicher Überlebenskünstler, ein am Willen anderer Scheiternder, der genau dieses Münchner Bayerisch spricht, das Menschen aus dem Oberland nicht einmal als Dialekt bezeichnen würden, das ihn in z.B. Hamburg aber als "urigen Bayern" ausweist.
Die 70er haben ihn an Autoritten zweifeln lassen, in den 80ern hat er kurz den Traum vom wirklich Guten Leben geträumt, in den 90ern ging es nur noch um das Bewahren von Traditionen, jetzt hat das Alles etwas von Karl Valentin in der Spätphase: Das Geld wird knapp, die Forderungen steigen, der Humor wird schal - der ganze Mensch ein Hybrid aus durch verschieden Zeiteiste verwaschene Ideologien und Illusionen. Liebenswert.

Donnerstag, August 3

Ertappt

Wenn's regnet, fahre ich gelegentlich U-Bahn. Würde ich täglich U-Bahn fahren, würde ich mich als Versager fühlen. Aber so ist es eine Ausnahme und erlaubt es, die Leute mit Interesse zu betrachten (das ist bei täglicher Routine nicht möglich).
Heute gab's sogar ein kleines Spektakel, nämlich eine Fahrscheinkontrolle. Ertappt wurde ein Student (eher uninteressant) und ein arabischer Mann, der neben seiner Kopftuch-Frau saß. Er hatte zwar eine Monatskarte (wie Django), aber noch keine Marke für August gekauft. Die Kontrolleurin, die den Eindruck machte, dieser Scheißjob mache ihr keinen Spaß, bat freundlich um irgendein Ausweispapier. Nach langem Gesuche fand der Araber irgendein Dokument, so dass sein Name dokumentiert wurde.
Ich habe die Gemeinheit besessen, die ganze Zeit aufmerksam zuzusehen (was dem Paar nicht entgangen ist). Der Mann war fix und foxi, schämte sich offenbar außerordentlich, konnte sein Unglück nicht fassen. Die Frau blieb völlig passiv.
Auch nachdem er die Durchschrift des Erfassungszettels von der Kontrolleuse entgegen genommen hatte, blieb er untröstlich. Kein Wort wechselte danach das Ehepaar. Kein Hass, nur gnadenloser Frust sprach aus seinen Augen.
Und dann musste ich auch schon wieder aussteigen, während die beiden zerknirscht dem Ostbahnhof entgegenstrebten...
Hoffentlich hört der Regen mmorgen auf.

Mittwoch, August 2

Ich werde besichtigt

Touristen in München - Sie stehen herum, blicken in die Luft oder auf alte Gebäude und sie sagen indirekt: Ich bin nicht hier, ich besichtige nur. Der ganze Münchner Alltag, der an ihnen vorüberzieht, ist Teil des lebendigen Bildes. Daraus leiten Touristen eigene Gestze ab: Die Besichtigten sind keine Menschen, mit denen man z.B. in Blickkontakt treten könnte, sie sind "Einwohner". Irgendwie wundern sich die Touristen, dass diese Einwohner auch tatsächlich essen, schlafen, lieben und arbeiten, wenn sie nicht das Stadtbild bereichern.
Und deshalb können Touristen nicht einsehen, dass sie in irgendeiner Weise im Weg stehen könnten, weil sie nicht vorhanden sind. Außerhalb des Mittleren Ringes hat der Spuk dann ein Ende. Dann gibt es nur noch Münchner, die sich gegenseitig wahrnehmen und entsprechend verachten.

Dienstag, August 1

Sondermonat in Bayern

In Bayern starten die Sommerferien später als in allen andern Bundesländern. Das hat nur einen einzigen Grund: Die "Entflechtung" der Stoßzeiten auf den Autobahnen. Bayern kommt zuletzt, weil von hier aus der Weg nach Süden am kürzesten ist (den verkehrbezüglichen Rest kann man sich dann zusammenreimen).
Aber wie jede bürokratische Auflage bringt das eigene Konsequenzen mit sich, die irgendwann die Kultur einer Region beeinflussen. Die Bayern fahren auch dann im August in Urlaub, wenn sie keine Kinder haben. Das tun die Kinderlosen deshalb, weil das Geschäft mit den Eltern und den Kindern ruht. Also kommt in Bayern der gewohnte Fluss zum Erliegen, obwohl es im regelmäßig wärmeren Juli eigentlich vernünftiger wäre.
Ums kurz zu sagen: Ich mache auch Urlaub im August, aber ich verbringe ihn in Bayern und werde versuchen, diesen Sondermonat als "Betroffener" in jeder Beziehung zu kommentieren.